Es ist traurig, wenn sich zwei Menschen trennen, die einmal eine glückliche Beziehung geführt haben. Sind Kinder in die Situation verwickelt, leiden sie meist noch mehr darunter als die Eltern. Denn in vielen Fällen verbringen sie nach der Trennung die meiste Zeit nur mit einem Elternteil und sehen den anderen unregelmäßig oder sehr selten. Dieses Ungleichgewicht kann zu einer Entfremdung von Kind und fehlendem Vater oder selten präsenter Mutter führen.
Fünf Fakten zur Entfremdung von Vater und Kind
- Eine Entfremdung kann bis zu einer Art Missbrauch des Kindes gehen.
- Häufig sind die negativen Gefühle der Eltern der Auslöser für die Entfremdung.
- Psychotherapeuten sprechen vom Parental Alienation Syndrome (PAS).
- Bei rechtzeitiger Intervention kann die Vater-Kind-Beziehung gerettet werden.
- Ohne entsprechendes Eingreifen kann das PAS bei einem betroffenen Kind bis zu Depressionen und Aggressionen führen.
In Deutschland trifft es häufig die Väter. Vielleicht bist auch Du in dieser schwierigen Situation. Dein Kind wendet sich nach Eurer Trennung ganz unerwartet und plötzlich von Dir und Deinem gesamten Umfeld ab und Du verstehst eigentlich gar nicht, was los ist. Mit diesem Phänomen stehst Du nicht alleine da. Psychotherapeuten sprechen sogar von einem Eltern-Kind-Entfremdungssyndrom (Parental Alienation Syndrome, PAS).
Entfremdung bei Trennung der Eltern
Der Auslöser liegt meist bei beiden Eltern
Eine Trennung ist in vielen Fällen mit ausgeprägt negativen Gefühlen beladen. Bleibt ein Kind bei einem Elternteil, meist der Mutter, ist es bewusst oder unbewusst auch deren Emotionen ausgesetzt. Lehnt die Mutter den Vater aus verschiedenen Gründen ab, leiden die Kinder darunter, übernehmen aber oft diese Gefühle, ohne es zu merken. Psychotherapeuten sehen hier zwei mögliche Gründe:
- Das Kind sucht die Nähe zur Mutter, um sie nicht auch noch zu verlieren.
- Das Kind identifiziert sich mit den Gefühlen der Mutter, um in das sichere Umfeld zu passen und mit seiner Hauptbezugsperson solidarisch zu sein. Erhält es dafür immer wieder positive Aufmerksamkeit, werden die Emotionen zu seinen eigenen. Der Vater wird dem Kind zusehends fremd und im Extremfall lehnt das Kind ihn schließlich komplett ab. Die Entfremdung festigt sich schnell.
Die Hauptmerkmale des Entfremdungssyndroms
Der amerikanische Kinder- und Jugendpsychiater Richard Gardner teilt das Entfremdungssyndrom in mehrere Hauptmanifestationen ein. Dabei muss aber nicht jedes betroffene Kind alle Symptome zeigen und auch der Grad der Ausprägung kann sich deutlich unterscheiden.
Therapeuten und Berufsgruppen, die sich von der rechtlichen Seite aus mit der Entfremdung von Eltern und Kindern befassen, teilen das PAS in eine schwache, eine mittelstarke und eine hochgradige Form ein. Diese Einteilung ist besonders wichtig, um gemeinsam notwendige Interventionen planen zu können.
So kann sich das elterliche Entfremdungssyndrom äußern:
- Das Kind wertet den Vater permanent ab, verdrängt schöne Erlebnisse und Erinnerungen aus der Vergangenheit. Scheinbar ohne dass es ihm unangenehm ist, sieht das Kind den Vater plötzlich als gefährlich und böse. Es kann auf Nachfrage hin aber keine konkreten Gründe für die „Bösartigkeit“ anführen und wirkt gestresst. Trotzdem sind die betroffenen Kinder fest von ihrer Meinung überzeugt.
- Das Kind versucht sich mit absurden Gründen zu rechtfertigen. Es behauptet zum Beispiel, den Vater nicht mehr zu mögen, weil er nie seine Sachen aufräume oder weil er im Freibad nie Pommes gekauft habe.
- Betroffene Kinder verlieren ihr Gespür für eine normale Ambivalenz. Das bedeutet, dass sie ihre Eltern nicht mehr als Menschen mit guten und weniger guten Eigenschaften wahrnehmen. Sie sehen die Mutter nur als gut und den Vater nur als böse. Dieses Symptom ist ein deutliches Anzeichen für eine bereits eingetretene Entfremdung.
- Das Kind schlägt sich in Diskussionen oder Befragungen immer sofort auf die Seite der Mutter. Selbst wenn der Vater noch gar nichts gesagt hat, ist das Kind schon dagegen. Es kann aber auch hier keine rationalen Gründe anführen.
- Obwohl das Kind quasi unter Strom steht und sich hin und her gerissen fühlt, lehnt es plötzlich die gesamte Familie von der Seite des Vaters ab. Es weigert sich strikt, zuvor heiß geliebte Großeltern, Tanten, Onkel und Cousinen weiterhin zu sehen. Auch hier findet es völlig absurde Begründungen für sein Verhalten.
- Kinder mit PAS verlieren ihren eigenen Willen und ihre persönliche Meinung, ohne sich dessen bewusst zu sein. Unbewusst gleichen sie ihre Ansichten mit der Mutter ab, von der sie komplett abhängig sind. Die Mutter ist in vielen Fällen sogar stolz darauf, „wie gut das Kind die Situation versteht und sich dazu äußern kann“.
- Das Kind empfindet keinerlei Mitleid oder Schuldgefühle in Bezug auf den Vater. Seiner Meinung nach lehnt der Vater es ab, hat keine Gefühle und ist nicht traurig darüber, sein Kind zu verlieren. Ansprüche stellt das Kind trotzdem an den Vater, in Form von Forderungen von Geld oder Geschenken. Es denkt, diese Art von Zuwendung sei sein Recht und Dankbarkeit sei nicht notwendig.
- Kinder mit PAS übernehmen häufig vorgefertigte Bilder über ihren Vater von anderen Personen. Sie erzählen von Situationen, die sie gar nicht selbst mit dem Vater erlebt haben und produzieren daraus Vorwürfe. Kommt eine Nachfrage, kann sich das Kind nicht weiter äußern.
Was Du tun kannst, um einer Entfremdung entgegenzuwirken
Auch wenn es Dir schwerfällt, vergiss nie, dass Du in dieser Situation der Erwachsene bist. Dein Kind steht schon unter massivem Druck und verhält sich nicht böswillig und bewusst so abwertend. Es mit Worten von seiner Meinung abbringen zu wollen, wird nicht funktionieren. Suche andere Wege, um die Beziehung zu Deinem Kind neu aufzubauen:
– Hör Deinem Kind einfach zu. Nimm es ernst und sei Dir sicher, dass Du es richtig verstanden hast. Deine Meinung ist noch nicht gefragt.
– Suche das Gespräch in entspannten Situationen. Geht in den Park oder ein Eis essen und unterhaltet Euch wie nebenbei. Zeige Deinem Kind immer wieder, dass es Mama und Papa lieb haben darf. Mach von Deiner Seite keinen Konkurrenzkampf daraus.
– Gib Dir Mühe, der Mutter Deines Kindes in Eurer Beziehung eine neutrale Rolle zuzugestehen. Sprich nicht schlecht über sie und dränge Dein Kind auch nicht in eine „Wir gegen sie“-Rolle.
– Ist Eure Entfremdung schon so weit gekommen, dass Dein Kind Dich gar nicht mehr sehen darf oder möchte, gib es nicht auf! Bestätige nicht seine schlechte Meinung von Dir. Es hat nur einen Papa. Schreibe Briefe oder E-Mails, auch wenn Du keine Antworten bekommst. Rufe regelmäßig an oder zeige Interesse an Sport- oder Schulveranstaltungen. Etwas Fingerspitzengefühl ist dabei gefragt. Dein Kind sollte sich nie von Dir bedrängt fühlen.
Quellen:
- Richard A. Gardner, Das elterliche Entfremdungssyndrom (Parental Alienation Syndrome, PAS): Anregungen für gerichtliche Sorge- und Umgangsregelungen; eine empirische Untersuchung, Verlag für Wissenschaft und Bildung, 2002