Sind unsere Kinder „ungezogen“ – frech oder willensstark? Was heißt eigentlich, Ungezogen = ( lt. Duden – ungehorsamer Weise nicht so verhaltend wie von den Erwachsenen gewünscht) Also bedeutet ein „ungezogenes Kind“ handelt nicht nach unseren Erwartungen und Wünschen – eigentlich ist dies doch gut. Schließlich sollen aus unseren Kindern doch mal eigenverantwortliche authentische und selbstbewußte Persönlichkeiten werden.
Heißt es also, dass wir das was wir an Erwachsene als Anspruch stellen für unsere Kinder nicht zählt? Wenn ein kleines Kind schon frühzeitig einen eigenen Willen hat und zeigt – nennen wir es oft „ungezogen“ oder „unerzogen“. Lassen Sie uns in diesem Artikel der Frage nach gehen – Wie sehr halten wir als Erwachsene „ungezogen Kinder“ aus.
Warum nennen wir unsere Kinder „ungezogen“?
Nahezu alle Väter kennen die folgende Situation: Man steht im Supermarkt an der Kasse und will gerade bezahlen, doch der zweijährige Sohn quengelt hartnäckig, weil er einen Schokoriegel möchte. Sie versuchen ihm zu erklären, dass es nicht geht, weil doch schon andere Süßigkeiten eingekauft wurden. Daraufhin wirft sich der Kleine auf den Boden und beginnt zu brüllen. Eine unangenehme Situation, gerade für Sie als Vater.
Es stellt sich die Frage, warum es im Erziehungsalltag immer wieder zu derartigen Geschehnissen kommt, die einen teilweise schier zur Verzweiflung treiben können.
Zunächst einmal kann man festhalten, dass sich alle Familien mit solchen Verhaltensweisen auseinandersetzen müssen, es handelt sich um eine völlig normale Erscheinung. Wann stufen wir eigentlich Kinder als ungezogen ein und sollten wir das überhaupt tun? Die meisten Eltern würden wohl antworten, wenn der Nachwuchs ungehorsam ist, sprich Anordnungen bewusst und trotz mehrmaliger Aufforderung missachtet oder auch, wenn Kinder frech sind, beispielsweise die Oma an den Haaren ziehen oder auf dem Spielplatz andere mit Sand bewerfen.
All diesen Verhaltensweisen ist eins gemeinsam, Kinder testen bewußt und mehrfach Grenzen aus: Wie weit kann ich gehen, bis Mama oder Papa schimpfen? Bisweilen wird auch bewusst provoziert, um die Reaktion des Gegenübers auszutesten oder um Aufmerksamkeit zu erlangen. Dieses Ausloten der Grenzen ist ein wichtiger Baustein im Bereich der kindlichen Persönlichkeitsentwicklung. Ein eigener Wille wird ausgeprägt, das Durchsetzungsvermögen wird trainiert. Beides sind wichtige Eckpfeiler für das Selbstbewusstsein eines Menschen. Dieser Prozess läuft bei jedem Kind individuell verschieden ab. Der Grad der Willensstärke ist dabei sowohl von genetischen als auch von erzieherischen Faktoren beeinflussbar. Mit anderen Worten: Ein Kind ist dickköpfiger als das andere, das eine behauptet sich stärker als das andere usw.
Unsere „Erziehung“ als verstärkender Faktor
Interessant ist dabei, dass wir Eltern durch die Erziehung auf unsere Kinder einwirken, und das nicht immer zum Vorteil: Gewisse negative Verhaltensweisen können verstärkt oder gar erst hervorgerufen werden.
Häufig wird der Fehler gemacht, Kinder wie Erwachsene zu behandeln – dabei lassen wir unberücksichtigt, dass dem Kind viele Einsichten entwicklungsbedingt noch fehlen und es gewisse Erwartungen noch nicht nachvollziehen kann. Auch mit den eigenen Problemen sollte man das Kind nicht belasten; das, was ein erwachsener Gesprächspartner vermitteln kann, kann ein Kind nicht leisten.
Viele Eltern lassen sich von Tränen oder Wutanfällen ihrer Kinder beeindrucken – auch das ist falsch. Wenn Sie nachgeben, hat das Kind erreicht, was es wollte und wird dieses Verhalten immer wieder zeigen, wenn es seinen Willen durchsetzen möchte – hier ist wie in vielen anderen Fällen Einfühlungsvermögen der Eltern gefragt.
Generell sollten Sie in der Erziehung eine genaue Richtung vorgeben (Stichwort Konsequenz). Wenn es zum Beispiel um organisatorische Dinge im Alltag wie Aufräumen geht, sollten Sie sich besser nicht auf Diskussionen einlassen, da so schrittweise Ihre elterliche Autorität untergraben werden könnte. Auch sollte unterlassen werden, vor eindeutigen Anordnungen um das kindliche Einverständnis zu bitten oder Kinder ständig vor die Wahl zu stellen nach dem Motto »Willst du erst dies tun oder doch lieber das andere? Oder sollten wir vielleicht jenes versuchen…?« Klarheit ist ein wichtiges pädagogisches Prinzip und beugt Chaos und Verwirrung vor.
Manche Eltern neigen dazu, ihrem Kind alle Mühen abzunehmen, um es ihm so leicht wie möglich zu machen. Doch das ist kein richtiger Ansatz. Kinder müssen sich auch mal anstrengen, einerseits, um zu lernen, wie man sich durchbeißt. Zum anderen dient es dem Aufbau von Frustrationstoleranz, sprich, Unangenehmes aushalten zu können. Diese Fähigkeiten werden im späteren Leben dringend benötigt.
Intuition ist der Schlüssel
Obgleich Eltern in der „Erziehung“ Fehler machen – was vollkommen natürlich ist und auch passieren darf – dürfen Sie auf Ihre Intuition vertrauen. Damit ist gemeint zu spüren, was dem eigenen Kind gut tut, was gerade in seinem Kopf vorgeht. Dieses sich Hineinversetzen in die kindliche Gefühlswelt ist hilfreich, um manch unangenehme Situation zu entschärfen.
Zum einen nachsichtig zu reagieren, wenn das Kind im Café zornt, weil es müde ist, aber anderseits geduldig und konsequent auf die Aufräumregeln zu achten, auch wenn das Kind dazu keine Lust hat, sind typische Verhaltensweisen, die auf elterlicher Intuition und einer Portion gesunden Menschenverstands basieren. Geben Sie Ihrem Impuls nach, Dinge zu tun, auch wenn diese möglicherweise für Außenstehende nicht immer nachvollziehbar sind, etwa ein weinendes Baby tröstend in den Arm zu nehmen, obwohl es doch alleine im eigenen Bettchen einschlafen sollte.
Weniger ERZIEHUNG und dafür mehr BEZIEHUNG zu unseren Kindern, dann verstehen wir Sie besser und können vielerlei Situationen die als „ungezogen“ gelten, verstehen und lenken.
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