Bei der Sozialisation von Kindern spielen die Vor- und Rollenbilder, die sie von klein auf erleben, eine wichtige Rolle. Sie beeinflussen, wie Kinder sich selbst und ihre Umgebung wahrnehmen und welche „Normen“ sie verinnerlichen – z.B. in Bezug auf Geschlechterrollen, Berufswünsche, Familie und Partnerschaft.
Wir haben Samuel Loschert, studierter Psychologe und Co-Founder des Ströppche Concept Store nach der heutigen Bedeutung von Rollenbildern in der Erziehung von Kindern gefragt:
Schon im Rahmen meines Psychologie-Studiums habe ich mich unter anderem mit der Bedeutung von Rollenbildern für die kindliche Entwicklung befasst. Eine Studie aus dem Jahr 2010 etwa hat gezeigt, dass Rollenbilder, die Kinder in jungen Jahren vermittelt bekommen, langfristige Auswirkungen auf ihr Verhalten, ihre Entscheidungen und ihre Wahrnehmung von Geschlechterrollen haben können1. Dabei ist es nicht entscheidend, dass diese Rollenbilder im Alltag tatsächlich präsent sind – auch im Rahmen von Büchern vermittelte Rollenbilder prägen das Denken und die Wahrnehmung sozialer Normen von Kindern. So etwa kam eine weitere Studie aus dem Jahr 2016 zu dem Ergebnis, dass Kinder, die Bücher mit vielfältigen Charakteren und Rollenbildern lesen, eine positivere Einstellung gegenüber Vielfalt und Gleichberechtigung entwickeln2.
Auch Spielzeug prägt das Selbst- und Weltbild von Kindern und hat Einfluss auf den späteren Werdegang – schon 1986 konnte in einer Studie gezeigt werden, dass Kinder, die mit einer breiten Palette an Spielzeug und Spiel-Aktivitäten konfrontiert werden, eher dazu neigen, ein breiteres Interesse an verschiedenen Berufen zu entwickeln3. Kinder hingegen, die nur wenige Rollenbilder erleben, tendieren eher dazu, Berufe zu wählen, die traditionell mit ihrem Geschlecht assoziiert werden.
Das zeigt: Wer möchte, dass die eigenen Kinder mit dem Selbstverständnis aufwachsen, sich frei entwickeln zu können und von klein auf ein tolerantes Weltbild entwickeln, sollte darauf achten, dass sie schon früh mit vielfältigen Vorbildern, Rollenbildern und Lebensentwürfen in Kontakt kommen.
Hierbei könnten Bücher und Spielzeug unterstützen, was leider jedoch oft nur sehr unzureichend passiert: Die meisten Geschichten, Charaktere und Illustrationen in Kinderbüchern spiegeln unsere vielfältige moderne Lebenswirklichkeit nicht wider. Alternative Familienmodelle wie alleinerziehende Eltern sucht man meist vergebens – und dies, obwohl rund 18% aller Kinder in Deutschland mit nur einem Elternteil im Haushalt leben4. Auch Protagonist*innen verschiedener Herkunft, Hautfarbe und Religion oder Menschen mit Behinderung sind in Büchern nur sehr selten vertreten. Bei Spielzeug sieht leider kaum besser aus: Oft vermittelt Spielzeug enge Rollenbilder und schränkt Jungen sowie Mädchen in ihrem Handlungsspielraum ein. Vieles wird ausschließlich in rosa oder blau und sehr geschlechterspezifisch angeboten – so etwa Schminkköfferchen für Mädchen und Experimentierkästen für Jungs …
Für meine Frau und mich war dieser Missstand der zentrale Grund dafür, mit dem Ströppche Concept Store ganz bewusst ein „Gegenangebot“ zu der großen Mehrheit der bisherigen (Online) Läden für Kinderbücher- und Spielzeug zu schaffen. In dem sorgfältig kuratierten Sortiment haben wir Bücher, Spielzeug und Accessoires für Kinder ab Geburt bis sechs Jahren bewusst so ausgewählt, dass sie nicht nach Geschlecht differenzieren und Kindern vielfältige und moderne Rollenbilder vermitteln. So wollen wir unseren Beitrag dazu leisten, dass Vorurteile und Stereotype gar nicht erst entstehen.
Worauf sollte man achten, um die (oft unbewusste) Vermittlung veralteter und wenig diverser Rollenbilder zu vermeiden?
Hier sind fünf Tipps für Eltern und Bezugspersonen:
1.) Vielfältige Rollenbilder erlebbar machen
Das Erleben vielfältiger Vor- und Rollenbilder legt schon früh den Grundstein für Toleranz und vermittelt Kindern, dass sie sich gemäß ihrer Interessen und Talente frei entwickeln dürfen. Diese verschiedenen Rollenbilder werden im besten Falle im eigenen Umfeld (Freunde, Nachbarn, Kita, etc.) unmittelbar erlebt – aber auch die in Büchern, Filmen oder beim Spielen erlebten Rollenbilder prägen das Selbst- und Weltbild von Kindern entscheidend.
2.) Offen über Vielfalt sprechen
Bezugspersonen sollten ihren Kindern erklären, dass jeder Mensch einzigartig ist und dass es in Ordnung und bereichernd ist, verschieden zu sein. Das fördert die Toleranz und Offenheit für Neues und Unbekanntes. Wir selbst haben die Erfahrung gemacht, dass Bücher oft eine tolle Möglichkeit darstellen, mit Kindern ungezwungen zu unterschiedlichsten Themen ins Gespräch zu kommen.
3.) Geschlechterklischees vermeiden
Kinder sollten lernen, dass sie unabhängig von ihrem Geschlecht die gleichen Möglichkeiten haben. Oft werden Geschlechterrollen von Bezugspersonen ganz unbewusst vermittelt – etwa wenn Jungen zu verstehen gegeben wird, dass sie „stark“ sein sollen und Männer nicht weinen – oder wenn Mädchen beim Klettern auf dem Spielplatz unbewusst weniger zugetraut wird. Einen wichtigen Einfluss hat hier natürlich auch, welche Geschlechterrollen Kindern von Eltern und Bezugspersonen vorgelebt werden – und auch, welche sie in Medien und durch Spielzeug (z.B. Ritter-Schwert vs. Feen-Kleidchen) vermittelt bekommen.
4.) Moderne Bücher und Medien mit diversen Protagonist*innen auswählen
Gerade, weil in Büchern und Medien oft noch sehr „traditionelle“ Rollenbilder vermittelt werden und kaum Diversität – etwa in Bezug auf Herkunft, Religion, sexuelle Orientierung oder Weltanschauung – vorkommt, sollten Bücher und Spielzeuge sehr bewusst ausgesucht werden. Das bedeutet NICHT, dass jedes Buch oder Spielzeug einen „moralischen Sinn“ haben muss – Bücher etwa dürfen auch einfach nur lustig sein. Aber es sollte doch darauf geachtet werden, dass in Büchern nicht völlig eindimensionale veraltete Rollenbilder als „Norm“ vermittelt werden.
5.) Rollenspiele fördern
Auch durch das Fördern von vielfältigen Rollenspielen kann Kindern die Möglichkeit gegeben werden, unterschiedlichste Rollenbilder zu erleben. Beim Rollenspiel lernen Kindern, sich in verschiedene Personen und Situationen hineinzuversetzen – das fördert Empathie sowie Toleranz und vermittelt Kindern spielerisch, dass ihnen in der Zukunft ganz unterschiedliche Wege offenstehen.
Was meiner Frau und mir auch deutlich geworden ist: Wer seinen Kindern Gleichberechtigung und moderne Vorbilder vermitteln möchte, kommt oft nicht umhin, sich über die eigene Rollenverteilung Gedanken zu machen. Weiterhin ist es so, dass in der Regel Frauen die Mehrheit der Care Arbeit übernehmen und den Großteil des Mental Load tragen. Und auch beruflich sind es immer noch meistens die Mütter, die dauerhaft zurückstecken, während Väter es oft bei ein bis zwei Monaten Elternzeit belassen, die dann oft auf einer gemeinsamen Reise – anstatt dem Erleben des (anstrengenden) Alltags mit den Kindern – verbracht werden. Insofern lohnt es sich oft nicht nur für die Kinder, wenn sie von klein auf moderne Rollenbilder vermittelt bekommen – sondern auch für die Eltern!
Quellen
- Gender Stereotyping in Early Childhood: A Literature Review von Lacey Hilliard und Emily Liben
- Breaking Gender Stereotypes: A Closer Look at Children’s Books von Janice McCabe, Emily Fairchild und Clark McPhail
- Gender Stereotyping of Children’s Toys: A Comparison of Parents and Nonparents von Roberta Steinbacher und Jane Holmes
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; Stand 2023 (https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/chancen-und-teilhabe-fuer-familien/alleinerziehende)